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Ich wurde  als Wunschkind geboren. Mein Vater hatte während des Krieges seine erste Frau verloren. Aus dieser Ehe gab es zwei Söhne. Nach Kriegsende fand mein Vater seine beiden Kinder wieder. Meine Eltern lernten sich kennen und heirateten. Die Familie war fast perfekt. Nur ein kleines Mädchen fehlte noch. Das war ich. Alle in der Familie freuten sich über die Geburt einer Tochter und Schwester.


Ich wurde von allen sehr verwöhnt. Trotz der sicher nicht einfachen Lage nach dem Krieg, wurden mir, nach den damaligen Möglichkeiten, alle Wünsche erfüllt. Ich wuchs sehr behütet auf. Da ich um einiges jünger war als meine Brüder,  musste ich mich nie mit ihnen auseinandersetzen, wie das sonst unter Geschwistern so üblich ist. Ich wurde behütet und verwöhnt von allen Seiten. So kam es, dass ich eigentlich nicht erwachsen werden konnte.


Mit 17 Jahren verliebte  ich mich in einen jungen Mann, war bald schwanger und bekam einen Sohn. Ein Jahr danach heirateten wir. Die Rolle, die meine Eltern bis dahin für mich gespielt hatten, übernahm jetzt mein Mann. Natürlich war ich für eine Ehe noch nicht reif und erwachsen genug.  Wir hatten trotzdem anfänglich schöne Jahre miteinander. Mein Mann und ich hatten einen guten Job. Wir wohnten in dem Haus meiner Eltern. Mein Sohn wurde von meiner Mutter betreut.

Doch dann gab es Schwierigkeiten. Mein Mann wurde arbeitslos und begann zu trinken. Es gab jeden Tag Krach! Alkohol war immer verfügbar. Für mich war es leichter mich ebenfalls mit Alkohol zu betäuben als mich den Problemen und der  Realität zu stellen und mich damit auseinanderzusetzen. Die Arbeitssuche meines Mannes war immer wieder ergebnislos. Dieser Prozess dauerte mehrere Jahre an. Ich war nicht fähig eine Lösung des Problems zu finden oder mich von meinem Mann zu trennen.  Stattdessen geriet ich immer weiter in die Sucht. Endlich machte mein Mann eine Therapie - doch nach deren Beendigung wurde er sofort wieder rückfällig.


Nun endlich schaffte ich die Trennung aber immer noch nicht die Scheidung. Ich hatte Angst meinen Sohn zu verlieren. Immerhin war ich genauso alkoholkrank wie mein Mann. Mir ging es inzwischen auch rein körperlich schlecht. Der Grund meines Trinkens war nicht mehr da aber der Alkohol hatte mich fest im Griff. Ich war im Krankenhaus mit anschließendem Kuraufenthalt. Doch ich vermittelte allen „die arme Frau“ zu sein. So konnte das Übel nicht an der Wurzel angefasst werden. Ich war nie in einer Fachklinik für alkoholkranke Menschen um behandelt werden, wohin ich aber natürlich gehörte. Ich hatte zwar mehrfach versucht aufzuhören, war aber immer wieder gescheitert. Morgen ist es so weit, da höre ich auf, sagte ich mir immer wieder. Aus morgen wurde wieder morgen. –


Nach einem weiteren Krankenhausaufenthalt, war es mir sehr ernst mit dem Trinken aufzuhören.  Endlich nahm ich Hilfe von anderen Menschen an.

Ich hatte natürlich schon oft in der Zeitung gelesen, dass sich alkoholkranke Menschen in Selbsthilfe-gruppen treffen. Aber gehörte ich wirklich dazu? Für mich waren Alkoholiker immer noch Menschen die unter Brücken schliefen. Trotzdem wagte ich den ersten Schritt und meldete mich zunächst telefonisch für das kommende Treffen an. Man sagte mir: „Wir treffen uns heute Abend und erwarten Sie“ Na, so schnell hatte ich mir das ja auch wieder nicht gedacht. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und ging an diesem Abend zum Gruppentreffen. - Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht klar, dass sich mein ganzes Leben verändern würde. - Ich wurde sehr freundlich aufgenommen. Ohne mit dem Fingerzeig auf meine Schwächen und Fehler. Einfach so, konnte ich meine Geschichte erzählen. Anfänglich mit feuchten Händen und vielen Tränen. Gleich am ersten Abend wurde mir gesagt: „Geh kleine Schritte, denke du willst nur einen Tag ohne Alkohol sein. Wenn du das geschafft hast, sei ohne Alkohol bis zum nächsten Tag, dann bis zum Gruppentreffen in einer Woche.“ Ich setzte meine ganze Energie ein, um dieses Ziel zu erreichen. Und, - wie toll,-  es klappte. Während  dieser ersten Woche telefonierte unser Gruppenleiter mit mir, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Ich fühlte mich verstanden, umsorgt und unterstützt. Genau das brauchte ich.


Im laufe der Zeit lernte ich auch andere „Schicksale“ von Betroffenen kennen. Mir wurde immer deutlicher, dass  sich viele Paare trennen und es trotzdem nicht solche Folgen hat wie bei mir. Im Vergleich zu anderen Lebensläufen der Gruppenmitglieder kam ich mir plötzlich ziemlich klein vor. Was hatte ich  denn schon Schlimmes erlebt? Ich musste mein Leben nur endlich selbst in die Hand nehmen. Für mich Entscheidungen treffen, für mich selbst Verantwortung übernehmen.  Das war alles.


Ich fühlte mich wie ein Schwamm, der alles in der Gruppe Gesagte in sich aufsog. Unvergesslich sind mir einige Regeln, an die ich mich strikt gehalten habe. Es waren Krücken, Hilfestellungen mit denen der Anfang meines neuen Lebens ohne Alkohol leichter war.
Kleine Schritte gehen.  Von Tag zu Tag, von Woche zu Woche trocken bleiben. An die Stelle des Alkohols muss etwas anderes treten. Die Zeit muss anders ausgefüllt werden, mit Dingen die man gern tut. Z.B. Sport treiben, handarbeiten, lesen, basteln, spazieren gehen u.s.w.
Das Umfeld informieren. Natürlich nicht mit einem Schild um den Hals wie „ich bin alkoholkrank“, sondern mit den Leuten reden, die mir wichtig sind und auf die ich auch angewiesen bin. Das ging natürlich nur sehr zögerlich und langsam. Schließlich hatte ich da nichts Rühmliches zu berichten. Doch ich begriff ziemlich schnell, dass das für mich auch Sicherheit bedeutete. Mir wurde kein Alkohol mehr angeboten, für mich war immer ein Ersatz da. Peinliche Situationen gab es für mich nicht mehr. Mir wurde viel Verständnis entgegengebracht. Von Freunden, Verwandten, Kollegen, Arbeitgeber, kurz von allen mit denen ich meinen Alltag verbringe. Nach zweijähriger Abstinenz machte ich eine Ausbildung zum Suchtkrankenhelfer. Das war für mich sozusagen das endgültige Ende meiner nassen Laufbahn. Die Angst um meinen Sohn war jetzt nicht mehr da. Er war inzwischen 18 Jahre und somit volljährig geworden.  Meine Ehe wurde geschieden.


Mir ist wichtig das ganz klar verstanden wird: Ich war diejenige die in die Suchtspirale gekommen ist. Niemand hat mich gezwungen zu trinken. Das war schon ganz alleine ich.


Ich habe damals keinen Ausweg gefunden. Heute weiß ich, dass es keinen Grund zum Trinken gibt. Man trinkt nur wenn man trinken will. Alle Probleme oder Schwierigkeiten lassen sich nur nüchtern lösen.


Inzwischen bin ich seit über 20 Jahre trockene Alkoholikerin. Das nenne ich ganz bewusst so. Ich habe gelernt, dass die Alkoholkrankheit eine chronische Krankheit ist, die ich mein ganzes Leben lang haben werde.  Wie bei allen chronischen Krankheiten muss man zwingend etwas tun um sie nicht wieder ausbrechen zu lassen. Für mich sind das die regelmäßigen Gruppenbesuche. An den Gruppenabenden nehme ich  nicht teil weil mir langweilig ist, sondern weil ich meinen Alltag immer wieder aufarbeite. Wer schenkt sich in der heutigen, schnelllebigen Zeit schon so viel Aufmerksamkeit gegenseitig, wie in einer solchen Gruppe. Wir reden über Alltagssorgen,  freudige Erlebnisse, einfach über alles was uns beschäftigt, kein Thema wird ausgegrenzt, -  positiv, wie negativ. Ich fühle mich verstanden, gut aufgehoben und unter Freunden.
Für mich steht fest: Ich werde immer eine Gruppe besuchen, für mich ist das lebensnotwendig. Ich lebe bewusst  m i t   der Alkoholkrankheit und versuche nicht sie zu bekämpfen. 


Mein ganz privates, persönliches Glück habe ich auch gefunden. Ich habe einen sehr netten Mann in einer Gruppe kennengelernt und wir haben vor einigen Jahren geheiratet. Wir verstehen uns sehr gut und sind glücklich miteinander.
Außerdem habe ich inzwischen zwei süße Enkelkinder, die ich sehr liebe.
Ich freue mich über jeden Tag, den ich jetzt bewusst erleben kann und bin dankbar dafür.

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