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Abstinenzentscheidung, Rückfälle und eigene Erfahrungen eines Gruppenmitglieds


Es ist nicht einfach, die Entscheidung zur Abstinenz zu beschreiben. In den seltensten Fällen ist es so, dass der Alkoholkranke zu sich sagt - ich bin krank, ich muss etwas tun - und die Therapie in Angriff nimmt. In den meisten Fällen, und diese Erfahrung ziehe ich aus Gesprächen mit anderen Betroffenen, steht doch der Druck von Außen dahinter, Familie, Arbeitgeber oder die eigene Gesundheit.
 

Von der Erkenntnis, dass das eigene Trinkverhalten nicht mehr der Norm der Gesellschaft entspricht bis zum Beginn der Therapie ist noch ein weiter Weg. Der Gedanke, bei mir ist es gar nicht so schlimm und ich schaffe es selber steht bei den meisten Abhängigen lange im Vordergrund. Die Scham über das eigene Versagen hindert daran, sich Hilfe zu holen.

Eine Studie der AIDA-Selbsthilfe (Arbeitskreis Alkohol in der Alltagswelt)besagt, dass bei Einlieferung in eine Klinik 80 bis 90% der Patienten überzeugt sind, dass sie als geheilt entlassen werden und nach der Therapie wieder kontrolliert trinken können.

Die Entscheidung zur endgültigen Abstinenz fällt meist erst während des Klinikaufenthaltes.
Wenn der Abhängige dann nach Abschluss der Therapie in sein gewohntes Umfeld zurück kommt, hat ihn der Alltag schnell wieder im Griff und unveränderte und gewohnte Abläufe können zum Rückfall führen.

Der häufigste Anlass für einen Rückfall sind zu ca. 50% negative Gefühlszustände, z.B. Ängste, Depressionen, Ärger und Enttäuschungen. Der Suchtkranke muss sich im Klaren sein, dass sein Gedächtnis funktioniert wie z.B. bei einer Versuchsratte. Durch gelernte Impulse reagiert ihr Gehirn auf das Zeichen für die Belohnung. Die kann auch Alkohol sein und die Ratte wird alkoholkrank.

So reagiert auch das menschliche Gehirn. In bestimmten Situationen sendet es das Verlangen nach Alkohol, die Belohnung. So wie es seit einem längeren Zeitraum antrainiert wurde.

Die ersten 6 Monate nach der Therapie gelten als besonders gefährlich. Bei Patienten, die eine Langzeittherapie abgeschlossen haben geht die Studie von einer Rückfallquote von ca. 50% aus. Wo allerdings bei Patienten, die nur eine Entgiftung durchgeführt haben von einer Quote von 80% ausgegangen wird. Ganz wichtig ist darum die dauerhafte Nachsorge, wie Therapie und auf lange Sicht die Selbsthilfegruppe. Der Abhängige muss genau auf sich achten. Es ist gut, Situationen und Plätze die mit einem Trinkritual in Verbindung stehen, zu meiden.
Auch die sorgfältige Überprüfung von Medikamenten und Lebensmitteln; auf Alkohol sollte selbstverständlich werden.

Für die Vermeidung eines Rückfalls ist es ganz wichtig zu erarbeiten, in welchen positiven oder negativen Situationen der Alkohol eingesetzt wurde. Denn der Alkohol hat gerade im Anfangsstadium viele positive Seiten. Er nimmt Angst, Hemmungen und macht den Menschen fröhlicher.

Mir hat der Alkohol die Angst vor meinem prügelnden Ehemann genommen und ich konnte mich gegen ihn wehren. Der Kranke muss lernen, diesen Situationen etwas anderes entgegenzusetzen als Alkohol.

Der Rückfall kommt nicht plötzlich, sondern es gehen immer Warnsignale voraus, wie Unruhe, Anspannung und häufiges Nachdenken über Alkohol. Der Kranke muss die Anzeichen erkennen, ernst nehmen und gegensteuern. Wenn er offen mit seiner Krankheit umgeht kann er mit einem gesunden Egoismus reagieren und bei Überforderung ganz klar nein sagen. Die meisten Mitmenschen reagieren mit Verständnis, die es nicht tun, müssen eben damit leben.

Mein persönliches Warnsignal ist, wenn ich vom Alkohol träume. Manchmal trinke ich im Traum, manchmal wache ich vorher auf. An diesem Zeitpunkt muss ich die Notbremse ziehen und reagieren. Im ärgsten Fall habe ich mich auch schon 3 Tage krankschreiben lassen. Meinem Hausarzt war mein Grund aber bekannt.

Es gibt keine genaue Definition vom Rückfall. Hier stelle ich mal 4 unterschiedliche Varianten vor:

1.    wenn der Abhängige sich nicht mehr dafür interessiert, ob im Essen oder Medikament Alkohol enthalten ist

2.    wenn der Abhängige bewusst oder unbewusst Alkohol in irgendeiner Form zu sich genommen hat

3.    wenn der Abhängige bewusst nach einer gewissen Zeit der Abstinenz ein alkoholisches Getränk zu sich nimmt

4.    es wird erst als Rückfall angesehen, wenn der Abhängige wieder in Trinkexzesse verfällt.

Jeder muss die Definition für sich selbst entscheiden.

Meine persönliche Variante lautet: wenn der Abhängige bewusst Alkohol in irgendeiner Form zu sich nimmt handelt es sich um einen Rückfall und den ersten Schritt zum Kontrollverlust.
Um die Rückfallproblematik zu verdeutlichen, möchte ich gern von meinem Krankheitsverlauf erzählen: Anfang des Jahres 2000 hatte sich mein Trinkverhalten so gesteigert, dass ich immer 1-2 kleine Flaschen Wodka im Rucksack hatte. Ich habe also den ganzen Tag kleine Mengen getrunken um, wie ich dachte, besser drauf zu sein. Am Abend folgte natürlich die große Flasche. Ich war der Ansicht, wie so viele, Wodka riecht man ja nicht. Im März diesen Jahres hat mich mein Chef zu sich bestellt und mir direkt vor den Kopf gesagt, ich hätte ein Alkoholproblem. Ich fühlte mich ertappt, da ich geglaubt hatte, keiner merkt etwas und habe es zugegeben. Nach einer erfolgslosen ambulanten Therapie, die ich eigentlich nur als Alibifunktion  gemacht habe folgte im September eine Abmahnung und ich gab die Zusage eine stationäre Therapie zu machen.

Am 9. Januar 2001 kam ich dann für 16 Wochen in die Wiehengebirgsklinik in Hüsede.
Ich habe sehr aktiv durch die Übernahme von verschiedenen Ämtern am Klinikleben teilgenommen und zum Abschluss eine Abschiedsrede (war dort so üblich) gehalten, zu der mir sogar die Therapeuten gratuliert haben. Glücklich , geheilt und mit der Vorstellung, jetzt sind alle Probleme vorbei bin ich nach Hause gefahren.

Nichts war gut, es waren noch die selben zänkischen Nachbarn mit denen wir seit 99 immer wieder vor Gericht standen, die selben Kolleginnen, von denen besonders 2 Stimmung gegen mich machten und die selbe verhasste Arbeit.


Die Nachsorge habe ich nicht angetreten, den meine direkte Vorgesetzte machte jedes Mal Stress, wenn ich aus diesem Grund vorzeitig Feierabend machen musste. ( könnte mir heute nicht mehr passieren). Aber ich ging in eine Selbsthilfegruppe in der alle Teilnehmer schon viele Jahre trocken waren. In deren Leben es angeblich keine Probleme gab.

Nach 4 Wochen holte ich mir meinen ersten Flachmann. Niemand hatte etwas bemerkt. Also erlaubte ich mir bei besonderem Stress etwas zu trinken, denn ich hatte es ja unter Kontrolle.
Im Laufe der nächsten 5 Monate wurde es immer mehr. Ich konnte ohne das beruhigende Gefühl von Alkohol nicht mehr leben. Ich war mir aber sicher, da ich schon 16 Wochen Abstinenz hinter mir hatte, ich schaffe es aus eigener Kraft wieder.

Es begannen fast 4 lange schlimme Jahre. Immer wieder habe ich versucht trocken zu werden, die längste Zeit waren 6 Wochen am Stück. Dann brach aber immer wieder alles zusammen. Die Lust auf Alkohol wurde übermächtig. Ich hatte aber bei der Abmahnung unterschrieben, dass ich während der Arbeitszeit drogenfrei bin. Also habe ich gleich nach Feierabend den ersten Flachmann geholt. Den ersten erleichternden Schluck gab es dann auf der Bahnhofstoilette, heimlich.


Auf dem Weg nach Hause kam noch ne große Flasche dazu. Ich hatte mir fürs Trinken ein Zeitlimit ca.21 -21.30 Uhr gesetzt. So glaubte ich am anderen Morgen einigermaßen klar zur Arbeit gehen zu können. Am Morgen folgten natürlich die Entzugserscheinungen und mein inneres Versprechen jetzt mit trinken aufzuhören. Am Abend war aber das Verlangen größer, nur noch einmal heute, mir geht es so schlecht. Ich trinke auch nicht die ganze Flasche leer, nur bis es mir besser geht. Morgen höre ich auf Die Flasche habe ich aber trotzdem ausgetrunken, denn ich wollte ja am anderen Tag aufhören und dann keinen Alkohol im Haus haben. Ich steckte in einem täglichen Kreislauf von schlechtem Gewissen, denn ich hatte eine teure Therapie gehabt und habe versagt, Schamgefühl über mein Versagen, Entzugserscheinungen am Morgen mit Schweißausbrüchen Kreislaufproblemen und Kontrollverlust über meine Gelenke, Angst vor allem und jeden, meine Vorsätze, am Abend nicht zu trinken , dem Saufdruck nachgeben und wieder Schuld- und Schamgefühle.

Die Selbsthilfegruppe hatte ich aufgegeben. Ich fühlte mich unverstanden und musste immer so tun, als ob ich trocken wäre. Im Sommer 2004 hatte ich mich aufgegeben. Ich hatte kein Selbstwertgefühl mehr. Habe an nichts mehr teilgenommen, nur den Weg Arbeit, Schnapsregal und schnell nach Hause. Ich habe jeden beneidet, der ohne Alkohol leben konnte. Ein Zustand, der für mich unerreichbar war.

Bei der Arbeit habe ich aus Schuldgefühlen heraus alle Sonderarbeiten freiwillig übernommen, wie z.B. Betriebsfeiern zu organisieren. Es folgte trotzdem die nächst Abmahnung Es hieß Job oder Therapie. Ich versuchte wieder mich mit einer ambulanten Therapie durchzumogeln, aber die BFA entschied, entweder 10 Wochen stationäre Therapie oder gar nichts mehr.

Am 14. Februar 2005 lieferte mich mein Mann mit 1,5 %o und dem von ihm gepackten Koffer wieder in Hüsede ab.

Dann erfolgte im Aufnahmegespräch die erste Wende. Der Therapeut hat genau meinen Zustand angesprochen, hat mir mein Schamgefühl genommen und mir erklärt, dass es keine Schande ist eine 2. Therapie zu benötigen. Er sagte, nur jeder 12. schaffe die Abstinenz gleich beim 1. Mal. Ich müsse nur ein Jahr überstehen, dann würde alles leichter. Ich fasste den Entschluss, mindestens dieses erste Jahr zu schaffen.


Mit diesem Entschluss und dem Wissen, dass zu Hause nicht alles in Ordnung ist habe ich die Klinik nach 10 Wochen verlassen.

Es gab tausend Anlässe für Rückfälle: Es waren immer noch die selben streitsüchtigen Nachbarn, es gab immer noch die 2 mobbenden Kolleginnen in der Firma stand plötzlich ein Flachmann mit Wodka im Kühlschrank, von diesen Kolleginnen wurden mir mehrfach Süßigkeiten und Kuchen mit Alkohol angeboten, ich konnte Gefühle, ob Kummer oder Freude kaum aushalten, denn ich hatte sie immer weggetrunken, die Ehe mit meinem Mann stand in der Krise, wir kamen nicht mehr miteinander aus u.v.m.

Ich wollte aber dieses Jahr durchhalten. Es wurde nicht leichter, aber mir wurde klar, wie viel ich ohne Alkohol erleben konnte, meine Mitmenschen zeigten wieder Achtung vor mir, ich konnte mich gegen Angriffe wehren, denn meine Argumente kamen aus einem nüchternen Verstand.


Ich möchte mit meinem Referat deutlich machen, dass hinter den Rückfällen keine Boshaftigkeit oder Willensschwäche steckt, sondern dass es sich um einen harten Überlebenskampf für den Abhängigen handelt.

Meine Vorbeugung gegen einen Rückfall sieht so aus, dass ich den Alkoholismus als Krankheit akzeptiere, mein Hausarzt sagt, zu vergleichen mit Diabetes. Für beides braucht man viel Willenskraft. Bei Diabetes kann man allerdings kleine Sünden mit Insulin ausgleichen. Ich freue mich jeden Tag in der Bahn, dass ich jetzt auch zu den nüchternen Reisenden gehöre und jederzeit den Mitmenschen ohne Fahne entgegentreten kann. Ich bin stolz auf mich, was ich in den letzten 4 Jahren erreicht habe und was am wichtigsten ist, meine Tochter ist stolz auf mich und zeigt es mir auch.

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